Texte zu Gerd Sonntag / die Namen der Autoren wurden mit externen Links unterlegt, ebenso Bilder und Textpassagen Verwüstete Sprache, beschädigte Bilder, verwaltete Kunst
Wenn die traditionellen Gattungen der Kunst: Malerei, Zeichnung, Skulptur etc. heute noch oder wieder eine Rolle spielen, so verdanken wir das, mehr als uns vielleicht bewußt ist, auch und gerade jenen Künstlern der ehemaligen DDR, die, unbeirrt vom Diktat der Zensur und der Moden, den künstlerischen Weg der Avantgarde nachgingen und in die Spuren einer Moderne traten, von der sich vielleicht eines Tages erweisen wird, daß sie unsere Antike ist. Wir bleiben so lange auf sie bezogen, wie sie in ihren wesentlichen Konfigurationen immer noch unbegriffen ist. Übrigens zeugt gerade die periodisch bemühte, zwanghaft anmutende Abwertung der modernen Werke davon, daß sie ihr widerständiges Potential noch nicht eingebüßt haben.Künstler, die das Bild gegen die Inflation der Halb-Bilder verteidigen, handeln daher in berechtigter Sorge, so auch Gerd Sonntag. Allerdings hätte es seiner Antikritik an einer Kritik, die den Namen kaum mehr verdient, nicht bedurft, um die eigentümliche Beziehung unter Beweis zu stellen, die gerade dieser Maler zur Sprache unterhält. Sie zeigt sich vor allem in seinen Bildern. Gerd Sonntag hatte bereits mit verschiedenen künstlerischen Verfahrensweisen experimentiert, als er mit Köpfen hervortrat, die, wie man richtig bemerkt hat, keine Porträts sind, die aber, allem Anschein zum Trotz und entgegen der Liebe des Malers zum afrikanischen Kontinent, auch nichts von den Masken archaischer Völker besitzen, da diese an ein System religiöser Glaubensvorstellungen gebunden sind. Bei Sonntag dagegen gibt es kein vorgängiges metaphysisches System, das die Formensprache determinierte, und doch halten seine Köpfe in gewisser Weise nicht weniger am alttestamentarischen Bilderverbot fest als die Wortbilder der letzten Jahre. Wer sie, wie der aktuelle Kunstdiskurs, in die Nähe des Primitivismus rückt, unterschlägt ihr Wesentliches, nämlich die in ihnen mit oft wilder, naiver Gebärde gestaltete intellektuelle Auseinandersetzung. Diese drückt sich allein darin aus, daß die "Kopfbilder" weniger mit dem Auge gemalt wurden, als vielmehr im Inneren des Geistes entstanden sind, das heißt es fließen nicht nur visuelle Impressionen, sondern auch Tastwahrnehmungen, Bewegungseindrücke und vor allem die heterogensten Erinnerungsfetzen in ihre Gestaltung mit ein. Das intellektuelle Moment artikuliert sich nicht zuletzt in immer neuen Darstellungen ein und desselben Themas, das obsessive Züge annimmt, auch das ein Merkmal, das sich bei der älteren Generation schon findet. Die Variationen sind eigentlich Performationen, und erst in ihrer Reihung offenbart sich die neue Qualität, die aus der hektisch-dynamischen Umgestaltung fließt. Was sich nach außen hin unterschiedslos als Kopf konzentriert, wird in seinen verschiedenen Intensitätsgraden als ein ständig vibrierendes, zeitlich determiniertes Bewegungs- und Beziehungsgefüge sichtbar. Der Blick hakt sich an Augen und Mund fest, die staunend, entsetzt oder fragend offen stehen, und daraus erhellt, daß das Ich ein Abgrund ist, in dem unaufhörlich Dramen spielen, die zumeist tragisch, manchmal auch komisch oder beides gleichzeitig sind. Insofern könnte man wohl von Masken sprechen, von den Masken verschiedener Ich-Intensitäten, und von einer unendlichen Befragung des Ich, das in allen seinen Ekstasen – in der ersten, der zweiten und der dritten Person, im Singular und im Plural - anwesend ist. Die variable Struktur, die im Innern von Köpfen wirksam ist, wird sozusagen nach außen gestülpt und macht deutlich, daß das Ich oder das Subjekt nicht länger als metaphysische Substanz, sondern als Funktion zu bestimmen ist, nämlich als Funktion seiner Wünsche, Versagungen und Enttäuschungen, seiner Wut, seiner Leiden und Verletzungen, seiner Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erkenntnisse, die in nie vorhersehbaren Rhythmus in ihm pulsieren und nicht selten ins Bild explodieren. Dieses rhythmische An- und Abschwellen von Bewußtseinsgraden, Seelenlagen und Bedeutungen ergießt sich nicht nur durch die rissigen, geborstenen Strukturen eines plastisch-pastösen Farbauftrags hindurch in den Raum, sondern erhält auch in den Glasschmelzearbeiten eine oft überraschende, das Licht brechende Transparenz. Es zeigt sich aber auch dort, wo in aggressiver Gebärde zur Schere gegriffen und ein Kopf neu modelliert, in seinem Umriß sozusagen korrigiert wird, was in der Regel ebenfalls dazu dient, die Geschlossenheit der Person aufzubrechen, ihr einen höheren Grad an seelischer Spannung, an innerer Zerrissenheit zu verleihen. Und ganz nebenbei wird dadurch auch die Plastizität, das Relief des Bildes, erhöht. Sonntags Arbeiten lassen erkennen, daß die verschiedenen Ereignisse, die Vorgänge und Erlebniszustände, die Selbst-Empfindungen und Fremdbestimmungen, aber auch die Sacherfahrungen, die die Innenwelt konstituieren, weder das gleiche Tempo, noch die gleiche zeitliche Ausdehnung besitzen, daß sie sowenig auseinander folgen wie sie in dieselbe Richtung drängen. 01
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01 10 Daher läßt sich auch keine Entwicklung erkennen, und noch weniger gibt es eine Geradlinigkeit des Sinns. Es gibt nur wechselnde Intensitäten, die sich in verschiedenen Raumempfindungen sedimentieren. Und um die verschiedenen Intensitätsgrade bezeichnen zu können, darf man nicht länger nach Ursachen und Wirkungen suchen, sondern muß den Schichtungen und Verwerfungen, den Wucherungen und Anlagerungen folgen. Das gilt nicht minder von den Wortbildern, mit denen Gerd Sonntag, nachdem er zunächst, und vorsichtig noch, Schrift seinen Köpfen zugefügt hatte, in den letzten Jahren immer ausschließlicher hervortrat. Sie machen, wie auch die Zahlenbilder, das asketische Moment seiner Bilder, den Bildrefus, noch deutlicher. Aus bestimmten obsessiv besetzen Worten, die insofern etwas Schicksalhaftes transportieren, als sie an die alltäglichen Schrecken der Existenz, seltener an ihre Freuden, erinnern, hat er sich ein malerisches Idiom geschaffen, dessen oberstes Merkmal darin besteht, daß das Wort nicht etwa den Bildinhalt wiedergibt oder das Bild das Wort illustriert; vielmehr löst im Idealfall das Wort sich in Farbe auf und wird dadurch selbst Bild.
Die Worte schaffen einen unendlich komplizierbaren Raum, der einem ständigen Wandlungsprozeß unterliegt, einfach dadurch, daß er an Volumen zu- und abnimmt. Man fühlt sich bisweilen an "Le Cortège d'Orphée" von Apollinaire erinnert, in dem Orpheus gleich zu Beginn die Linie als die Stimme des Lichtes rühmt, wobei er sich auf das Werk "Poimander" von Hermes Trismegistos beruft. Dort heißt es: "Bald sanken Finsternisse herab, und es entfuhr ihnen ein unartikulierter Schrei, der die Stimme des Lichts zu sein schien". Apollinaire selbst hat dazu notiert: "Ist diese «Stimme des Lichtes» nicht die Zeichnung, das heißt die Linie? Und wenn das Licht in seiner ganzen Fülle sich ausdrückt, wird alles farbig. Die Malerei ist im Grunde eine Lichtsprache." Und das zeigt, daß die Auseinandersetzung mit Sprache, mit dem Wort die Malerei nicht von sich wegführt, jedenfalls nicht notwendig.Eine starke, rein pikturale Besetzungsenergie ist bei Gerd Sonntag am Werk, die bisweilen ganze Wortfelder – Arbeit, Notwendigkeit, Krankheit, Versicherung - zueinander in Beziehung setzt, ohne daß ihre Geschichte, ihr semantischer Gehalt explizit entfaltet würden. Nur sie selbst, immer wieder plakatiert, als ein ständiger Appell an die geistige Aktivität des Beobachters, die Worthülsen zu füllen und das ins Bild einzuholen, worauf es zwar verweist, was es aber nicht enthält. Der Beobachter ist in diesen Bildern immer auch Leser. Daher ist seine Wahrnehmung auch ständig der Gefahr ausgesetzt, in die Linie zurückgezwungen zu werden. Die Art, wie Sonntag Bilder aus Wörtern komponiert, wie er einzelne Worte mit wechselnden Farb-Intensitäten malerisch auflädt, könnte einen Schreibenden vor Neid erblassen lassen. Denn der könnte sich nicht damit begnügen, einzelne Begriffe einfach nur neben- oder untereinander zu schreiben, weil dann seine Worte in der Fülle ihrer möglichen Bedeutungen leer blieben, während hier etwas entsteht, das in seinen Dimensionen, seinen Bedeutungen nicht festgelegt und daher für jede Veränderung, jeden Einbruch der Zeit offen ist. Daß sie nichts mehr sagen, weil sie nicht in sich selbst differenziert werden, macht die Worte für den Maler erst interessant. Ihre Transparenz verliert sich dann, sie werden opak: Blöcke, Wortblöcke entstehen, die in dem Maße, in dem sie gegenständliche Qualität annehmen, jede referentielle Funktion von sich abweisen. Sie verweigern aber auch ihre kommunikative Funktion. Wie das in den Kopfbildern befragte Ich ganz in sich eingesponnen ist und keine Kommunikation mit einem anderen Ich als eine aggressive, feindliche oder defensive zu kennen scheint, bleiben auch die Worte solipsistisch, und wenn sie etwas kommunizieren, dann eben dies Solipsistische. Die Variationen der immergleichen Worte, von denen die meisten lange Zeit den Diskurs der Moderne beherrschten, einige gegenwärtig aber, wie das von Sonntag am häufigsten gebrauchte Wort 'Arbeit', dabei sind, aus ihm eliminiert zu werden, oder kurze Sätze, wie: "Ich verläßt mich, Ich geht fremd", "Ich hatte einmal mein Gesicht" - oder auch bloße Wortfolgen wie: "Mein Ich, mein Arbeit, mein Geburt", was sich wie eine abgekürzte Bildungsgeschichte liest, die ohne logische Folge abgelaufen ist, und schließlich Formelhaftes wie "Arbeit am Aufsteh", um jene furchtbare Disziplin des freien Geistes auszudrücken, deren Forderungen niemals ganz zu erfüllen sind, weshalb manche Worte auch wie nicht zu Ende geschrieben wirken, entwerfen eine ganz eigene Poesie, in denen sich die mit den Köpfen begonnene Ich-Befragung und Hinterfragung fortsetzt: "6 Uhr früh, der Aufsteh grinst, du stotterst Achterbahnen", heißt es, oder: "Spucke im Hirn, Angst im Gebiß", "Deine Kindheit tritt dir den Himmel ein", "Gott würfelte an Dir vorbei". Die Wortwiederholungen dienen nicht nur dazu, ein Thema proportional zu seiner sozialen Aktualität zu entfalten; es geht um mehr: Sonntag weist auch auf die Determinationen von Wahrnehmungen durch die Sprache hin und hebt sie in seinen Bildern zugleich auf die vielfältigste Weise auf. Die Anwesenheit der Schrift im Bild ist daher immer auch als eine Art Anweisung an den das Bild Wahrnehmenden zu verstehen. Und das Unbequeme, Sperrige der Bilder zeigt sich gerade darin, daß die Worte, die sie nennen, so manchem Betrachter im Halse stecken bleiben und mitunter regelrechte Abwehrreaktionen auslösen.Nicht immer sind die Worte deutlich lesbar, oft sind sie fast gänzlich von Farbschichten verdeckt, und es bedarf einer gewissen Kontemplation auf das Bild, damit sie aus dem gemalten Untergrund hervorbrechen. Solche Bilder gleichen einem Wunderblock, auf dem nicht nur die Worte selbst, sondern auch ihre zahllosen Überschreibungen in Spuren aufbewahrt sind. Diese Bedeutungsschichten, aus unzähligen Definitionen und Interpretationen von Interpretationen geboren, müssen freigelegt werden von einem Auge, das gleichsam archäologisch funktioniert, damit ihr ursprünglich Gestisches und ihre semantische Vielfalt sichtbar werden. Erst dann wird man erkennen, daß es hier immer noch um Tafelbilder geht, und zwar um Tafelbilder im doppelten Wortsinn, nämlich um solche, die sich zugleich ironisch auf sich selbst replizieren. Die moderne Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts war zu weiten Teilen dadurch charakterisiert, daß ihre Werke einen Bruch mit dem klassischen Verhältnis von Figur und Grund vollziehen, was sich selbstverständlich auch bei Gerd Sonntag findet. Dieser Bruch gewinnt aber sowohl in seinen Köpfen wie in seinen Wortbildern insofern eine neue, nur für ihn spezifische Form, als es in seinen Werken immer auch um die Abtragung von Schichten und das Ausgraben der Figur geht. Diese zieht alles, den gesamten Raum, bis zu den fernsten Horizonten in ihre Geburt oder besser: Wiedergeburt mit hinein. Denn genau darum, um Geburt nämlich, geht es. Die Geburt ist zwar in einigen Bildern wie beispielsweise dem großartigen Sonnenzyklus "Die Geburt der Saliha" aus dem Jahre 1996 auch Thema, und hier ist das Zentralgestirn unseres Planetensystems das zeugende Element, sie ist aber überall im Werk von Gerd Sonntag mehr oder weniger versteckt gegenwärtig. Immer handelt es sich um aus unzähligen Überlagerungen eruptiv hervorbrechende Bildwelten, die von den Wunden und Zerrissenheiten, von der Gewalt gezeichnet sind, ohne die eine Geburt nun einmal nicht zu haben ist, nicht einmal die Selbstgeburt. Und, auch das machen seine Bilder deutlich, keine Geburt gleicht der anderen, jede löst andere Empfindungen aus, jede geht von anderen seelischen Energien aus, weshalb in jeder auch etwas Neues entsteht, etwas, das über die gestalteten Elemente, die bekannt sein können und die es in aller Regel auch sind, hinausschießt. Diese Elemente, von unzähligen geschichtlichen Explosionen verstreut, werden in einem leidenschaftlichen Elan gesammelt und vereint, so daß aus jedem Zusammenbruch die Welt wieder von neuen anhebt. In jedem Bild bricht sich mit anderen Worten die Schöpfung ein Bett. Der vollständige Text ist erschienen in der Zeitschrift "Herzattacke", 2002 Gerd Sonntag... peintre, verrier, il considére son oeuvre verrière comme le prologement de son euvre picturale avec l´apport du volume et de la lumière en plus. Il en rèsulte des sculptures fortes, sensibles, très élaborées. Sa notoriété est internationale. Janine Bloch-Dermant
in Katalog Millon, Paris,
2007, Lothar Lang in "Malerei und Grafik in Ostdeutschland", Faber&Faber, Leipzig, 2002 Gerd
Sonntag, eines der stärksten Malertalente seiner Genaration
(Jahrg.1954), erlangte mit seiner expressiven Kunst nennenswerte
internationale Erfolge auf Ausstellungen, verschiedentlich zusammen
mit Klaus Killisch, Neo Rauch und Wolfgang Smy. In New York erhielt
er 1989 im Brooklyn Museum of Art als
erster ostdeutscher Künstler eine Personalausstellung, die
in der New York Times Beachtung
fand. S. 209, Gerd
Sonntag im Atelier, ©
Foto:
Barabara Klemm,
2003 in "Berliner Montmartre, Künstler vom Prenzlauer Berg", Rütten & Loening, Berlin, 1990 Sonntag
ist Figurenmaler radikalster Subjektivität. "Sonnenuntergang
mit Fliege" heißt ein großes Format, "Mann
x Frau x Gerd" ein anderes, "zahlreiche Köpfe",
sie messen sämtlich über einen Meter in der Höhe.
... Abb: "Ein Mittwoch im November", 1979, installiert im Berliner Dom, für die Ausstellung "Götzen, Ismen, Fetische", Okt.1984 bis April 1985, Foto: Harald Hauswald Jetzt
steht Sonntag vor mir freilich als ein mittlerweile weithin bekannter
Künstler, glücklicherweise ohne Starallüren... Während
der Vorführung spricht er viel und schnell, ein vigilanter
Thüringer, der Weltläufigkeit geatmet hat und sich darzustellen
weiß.
"Kulmination von Malerei und Objektkunst in der Malerglasskulptur von Gerd Sonntag" "Buchkunst und Kunstgeschichte im 20.Jahrhundert", Stuttgart, 2005
Neue Herausforderung: Glas im Raum - Farbe und Licht im Glas 1988 entdeckt Gerd Sonntag Glas als Material der Kunst. Es wird ihm zu neuer Herausforderung. Glas im Raum, Farbe und Licht im Glas. Diese Arbeiten stehen konträr zu gläsernen Freundlichkeiten des Alltags, also nichts von Kunstgewerbe, kein Design. Sonntag arbeitet als Maler und Plastiker mit und im Glas: Er betreibt Malerglasskulptur. Der Begriff verweist darauf, dass nicht nur an der Oberfläche, sondern im Glas und mit Glas gemalt und im Glas skulptiert wird.
Abb. "Amber, das Innere von ihr", Glas, 2003 / Höhe 100 cm Foto: Frank Heckel
Dreidimensionale rhythmische Bewegungen und skulptives Formgewirr Sonntags Glaswerk ist kein fluoreszierender Fremdkörper zwischen den Gattungen der bildenden Künste. Es ist nicht mit einem Blick und in einer Ansicht zu erfassen, Synästhesie. Es braucht das Um-Gehen durch den Betrachter, die Zusammen-Sicht aller Seiten. So öffnet sich das innere Gefüge, das Ineinanderverflochtensein zahlreicher figürlicher Formen. Das wuchernde Wachstum des gläsernen Flechtwerkes, die Ver-ästelung der Farbzonen und Striche, die räumlichen Gliederungen, die sich rhythmisch in allen drei Dimensionen bewegen, plastische Glieder und Hohlräume verschränkend, lassen Farben dem labyrinthischen Gebilde entsteigen, leuchtend und oszillierend, Farbstrudel und Farbflüsse bildend, je nach Einfall und Stärke der Lichtbündel. Im Glaswerk treiben plastische Wucherungen zu Schlünden und haarfeinen Tentakeln, Craquelee zeichnen hauchzarte Lineaturen im skulptiven Formgewirr. Die Gebilde tragen Titel wie "Großes Blaues", "Kopf Gelb", zuweilen poetisch "Das Innere der Sphinx" oder "Raumschiff Virus, gelandet" .
Abb. "Raumschiff Virus, gelandet", Glas, 2003 Privatsammlung, Brasilien, Foto: Frank Heckel
Informel, kalkulierter Zufall und Diktat des Unbewussten Zu Gerd Sonntags Malerglasskulptur sehe ich nichts Vergleichbares. Zwar gibt es Installationen mit dem Material Glas, etwa die Akkumulationen mit Murano-Glas, die Luciano Fabec auf der Biennale Venedig 1992 gezeigt hat, oder Glas-Siebdrucke beziehungsweise Kompositionen aus Plexiglas (Plexigamme von John Cage). Jenseits des Materials finden sich Berührungen hinsichtlich der Morphologie informeller Strukturen, insbesondere zu Wols und Bernard Schultze. Es ist aber auch eine mediale Beziehung zu dem Figu-risten Jürgen Brodwolf denkbar, dem die Erfindung des Glasbuches zu danken ist, die in dessen Gedächtnisspeicher Eingang gefunden hat. Wo Brodwolf an Linie und Fläche und mit Plastik (Tubenfigur) arbeitet, dringt Sonntag als Skulpturist in das Material. Methodisch setzt die Malerglasskulptur Sonntags die Kunst des Informel ebenso voraus wie die Dialektik des kalkulierten Zufalls und das Diktat des Unbewussten. Gerd Sonntag hat mit seinen einzigartigen Skulpturen zur Selbst-Identität gefunden oder, um mit Ernst Bloch zu sprechen, zur Tiefe des Eigentlichen.
Abb. "Raumschiff Virus, gelandet", Glas, 2003 Foto: Frank Heckel
(ebenda - auszugweise zitiert)
Erik Stephan, 2003 Spucke im Hirn - Angst im Gebiss Zu Beginn der 1980er Jahre betrat eine neue Generation von Malern die Bühne der Kunst. Mit bis dahin unbekanntem Selbstverständnis wurden alte Leitbilder gekündigt und neue, eigene Ausdrucksformen in größeren Zusammenhängen verfolgt. Neben Künstlern wie Klaus Killisch, Walter Libuda oder auch Neo Rauch gehörte Gerd Sonntag zum Kreise jener, die das Persönliche und Außerordentliche gegen die üblichen Verklammerungen setzten und mit der neuen Form auch eine andere, kompromisslosere Haltung in den Alltag der Kunst im Osten Deutschlands einbrachten. Einige dieser Künstler sind heute erfolgreich tind auch Gerd Sonntag kann national und international auf zahlreiche Ausstellungen und die Präsenz in wichtigen Sammlungen verweisen. Das Werk setzt mit der Zeichnung ein, es gibt ein breites graphisches OEuvre und nicht wenige Skulpturen - vor allem jedoch ist Gerd Sonntag eines: Maler. In der Malerei liegt das Kraftzentrum seiner Kunst, hier entwickelt Sonntag jene Energie, die das Werk zusammenhält und die Richtung für den mit Verve geführten Pinsel liefert. Farbiges Geäder verknäult sich in Figuren und bildet hinter konturiertem Umriss Labyrinthe, die freundlich einladen und in denen das Phantastische mit dem Notwendigen künstlerisch fruchtbare Beziehungen eingeht. Viele der vor allem neueren Bilder verzichten ganz auf Figur und zeigen Zahlen oder Texte. Das Vokabular ist hier komprimiert und strenger gepackt.
"Hund und Weiblein", 1986, 140 x 170 cm Brigitte Rieger-Jähner in "Ostdeutsche Kunst zwischen Gestern und Heute", Nov. 2000, "Der rote Junge mit dem Hund" "Seit
nunmehr über 50 Jahren wird sowohl von Philosophen wie auch
von Kunsthistorikern vom Niedergang der Kultur im allgemeinen und
dem Untergang der Malerei im besonderen gesprochen. Doch über
eine Jahrhunderhälfte später zeigt auch Gerd Sonntag mit
seinen Bildern, dass das Medium Malerei einfach nicht totzukriegen
ist und vor Vitalität geradezu strotzt..." ... "Nicht
zuletzt trägt hierzu der Gestaltungsrhythmus bei, wie er sich
aus der Gliederung und der Betonung einzelner Bildelemente ergibt.
Chaos und Ordnung, die sich als System der Fläche in Raster
und Streuung darstellen, fechten gleichsam einen Kampf miteinander
aus." (hier auszugweise zitiert) externer Link
"Übersichtig" Die Rechte des Sehens beim Malen wahrzunehmen, ist Arbeit, der sich das schöpferische Bewusstsein des Malers GERD SONNTAG stellt.Die Codewörter dieser Neuigkeit sind für den Maler Angst und Zeit. Aus diesen Wörten sind Bedeutungen zu kippen, damit das Wort, das der Maler sagen möchte, erscheint. Dem Maler und dem Betrachter helfen, gleichviel, bei dieser Arbeit sogenannte Umkippbilder. Sie spielen mit der Übersichtigkeit des Auges, um zur Sehart des Auges Fragen stellen zu dürfen. Das sehende Auge erfährt durch das Umkippbild, dass es das weiße Bild nicht sieht, welches das schwarz hervorstechende Bild umgibt. Der Maler sagt: "... mich interessiert an der Schrift der Raum, den sie schafft, die Farbe und das poetische Wort" (G.S.). Diese Worttat bringt der Maler ins Bild. Hier trennt sich der Maler vom Ich in der dritten Person: "...damit es sich ungestört vom gesellschaftlichen `man´ äußern kann." (G.S.) Die Bildersprache des Malers sagt; "Ich verlässt mich. Ich geht fremd", wodurch die hyperästhetische Begabung des Betrachters, zu dem der Maler sich gesellt, in allerlei Bewegung gerät. Von nun an ist dem Maler gegeben, sich als Plünderer des Betrachters oder als eine verantwortliche Zwiegestalt anzusehen, die in ihrer Wortbildung ihre Malart der Sehart des Betrachters dankt und schuldet." "Weil dem Autor diese Ufergegend
irgendwie vertraut erscheint, will er schnell noch sein dem Maler
gegebenes Versprechen einlösen, vom Bilderreichtum zu sagen,
den ihm das Bild "Notwendigkeit" gibt. Mit dem Wort befinden
sich der Maler und der Betrachter auf fettem philosophischen Boden;
der auch nicht magerer wird, wenn das Wort, so wie im Bild erst
einmal gesehen, in not und wendig und keit aufgelöst wird; über dem zarten Hinwei;
"eisernes Wort". Aus dem "eisernen Rumänien"
kommt der Betrachter so heraus: Es steckt also in dem Begriff der
Notwendigkeit schließlich das sprachliche Bild einer Absicht
u.s.w. ... Und -: nix von Dudenprobe.
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